Ich war lange ein dickes Mädchen. Das war einfach so, es hat sich so ergeben. Im vergangenen Jahr habe ich abgenommen. Hosen, die mir in den letzten sechs Jahren gut gepasst haben, wurden auf einmal zu groß. Ich habe keine Diät gemacht. Ich sehe das mehr pragmatisch und ich habe zu meinem Körper in dieser Beziehung ein Vertrauensverhältnis: Wenn er etwas benötigt, wird er es mir sagen oder zeigen. Wenn ihm etwas zu viel wird ebenso. Wir haben da eine ganz gute Kommunikationsebene gefunden.
Ich glaube, dass Fettsein (für mich, bei anderen mag das anders sein) eine Funktion hat. Es entsteht nicht aus Faulheit oder weil man einfach Bock auf Essen hat. Man macht das, um sich ein wortwörtliches “dickes Fell” anzufuttern. Mein Körper hat anscheinend beschlossen, dass ich dieses Fell jetzt nicht mehr brauche. Jedenfalls nicht so sehr. Nach sechs Jahren mit konstantem Gewicht nahm ich auf einmal ab. Ohne Diät.
Einige Menschen aus meinem Umfeld kommen damit nicht klar. Sie finden es ungerecht (“Wie, einfach so? das müsste mir mal passieren…”). Sie freuen sich und gratulieren mir, wie zu einem Studienabschluss (“Was für ein Erfolg! Da kannst du aber richtig stolz auf dich sein!”). Und sie meinen, mich anspornen zu müssen. (“Und? Machst du jetzt so weiter?”). Ich verstehe das alles nicht.
Um derlei Wertungen zu vermeiden, habe ich einigen gar nicht von meinem Gewichtsverlust erzählt. Wenn man sich lange nicht gesehen hat und hauptsächlich telefoniert oder chattet funktioniert das ja ganz gut. Mir ist aber dabei aufgefallen, wie oft die Themen in alltäglicher Kommunikation um das Gewicht kreisen. Obwohl ich meine Veränderung lieber verschwieg, fingen die anderen an. Wieviel sie abnahmen. Wieviel sie zunahmen. Und dass dem Körper Maß geboten werden muss um das eine zu erreichen oder das andere wieder rückgängig zu machen.
Ich dachte mir “OK, wenn ihr schon darüber reden wollt…”. Ich erzählte, wie mein Körper und ich das machen. Und erntete gut gemeinte Ratschläge zum Thema Diät und Mäßigung. Die Menschen dachten, ich hätte zugenommen und wolle das nun rechtfertigen. Ich fühlte mich, als ob ich mit Wänden redete. Das hat mich traurig gemacht. Auch ohnmächtig. Und verwundert. Verwundert darüber, wer auf einmal mit Bodyshaming daherkommt und wie unvorstellbar es anscheinend ist, auf den eigenen Körper zu vertrauen. Dass man den Körper nicht als zu zähmendes Ungeheuer sieht, sondern als Medium, das einen durch die Welt trägt und dafür sorgt, dass man die Welt erleben kann.
schön geschrieben :) ich selbst hab mich damals zwar über meine aus-versehen-Abnahme gefreut, aber fand es schon sehr befremdlich, wie die Leute damals reagiert haben… als wäre ich so erst zum Menschen geworden
…ich möchte Dir trotzdem applaus spenden, da Du, und das zeigt mir der ausdruck “dickes fell”, erkannt hast, dass es weniger das essen ist, was dick macht, sondern der stress, den Dir Deine umgebung bereitet…ich war ein dicker junge, über viele jahre, dann habe ich abgenommen und wieder zugenommen, wieder abgenommen und wieder zugenommen, um dann wieder abzunehmen (Von 108kg auf 70kg in 9 monaten) Heute weiß ich, dass nicht das essen mich fett gemacht hat, sondern der stress, den mir meine umgebung bereitet hat. Meine umgebung, also eltern, geschwister, verwandte und in-laws, waren und sind nicht mit meiner non-konformistischen lebenseinstellung einverstanden und das haben sie mich spüren lassen. Sie haben auf ihre art und weise immer eine form von druck aufgebaut, der ich heute im grunde genommen nur “offensiver” gegenübertrete, indem ich mich einfach zurückziehe und nicht mehr blöd rumdiskutiere. Ein scharfer blick und ein “LASS MICH ZUFRIEDEN!”, gefolgt von ignorieren haben schon wunder gewirkt. Ich bekämpfe diese frustrationen einfach nicht mehr mit oraler befriedung in form von essen, was ich in mich hineinstopfe, sondern dass ich es an ort und stelle herauslasse, und es herausbrülle, wenn es sein muss. Ich habe im grunde nur ganz klare grenzen gezogen, die heute keiner mehr wagt zu verletzen. BTW, wenn Du Dich mit Deinem gewicht wohlfühlst, dann hast Du auch genug abgenommen und lass die finger von raffiniertem zucker, aber ich glaube, das brauche ich Dir nicht zu sagen, denn diesen todfeind hast du erkannt und wie ich, gibt’s Du dieses gift Deinem körper nur, wenn er danach schreit…bei mir vorgestern in form von schokolade…;-)…mach’ weiter so…
Ach, was für ein schöner Artikel – aber vermutlich verhallt er nutzlos im allgemeinen Diät-Wahn!
“Ich glaube, dass Fettsein (für mich, bei anderen mag das anders sein) eine Funktion hat. Es entsteht nicht aus Faulheit oder weil man einfach Bock auf Essen hat. Man macht das, um sich ein wortwörtliches “dickes Fell” anzufutter”
Das ist vermutlich EINER der möglichen Gründe. Ein anderer ist die Lust auf Lust, die mit nichts so einfach befriedigt werden kann wie mit essen. Wer also viel Frust im Leben hat und keine Möglichkeiten sieht, etwas zu verändern (oder auch: den A… nicht hochkriegt), wird zu dieser einfachen Freude am Essen neigen.
Eine weitere Variante ist das “Überschreiben” von Ängsten mittels Essen. Das Hirn denkt: aha, es wird gegessen, also droht keine Gefahr.
Viele Menschen nehmen automatisch ab, wenn sie heftig verliebt sind – ganz ohne Diät und nicht aus dem Streben heraus, jetzt zwanghaft abzunehmen um dem / der Liebsten besser zu gefallen, sondern aufgrund eines ANDEREN emotionalen Engagements, das sich esstechnisch wie ein Appetitzügler auswirkt.
Wer also mit dem eigenen Gewicht nicht in Frieden lebt, sollte nicht am Körper als “zu zähmendem Ungeheuer” herum basteln, sondern das eigene Leben in all seinen Aspekten daraufhin prüfen, ob es wirklich das ist, was eine/n erfüllt. Und es dann auch verändern, selbst wenn das bedeutet, gewohnte Sicherheiten loszulassen und Neues zu wagen.
Just my 2%.
Ich find diesen Post super und pflichte dir absolut bei. Diese Schuld-und-Sühne-Rhetorik, was Körper und Essen angeht geht mir aber sowas von auf den Senkel. Auch, wenn ich in Gewichts-Diskussionen noch oft selber mitmache. Ist halt ein Prozess, auch selber dieses Denken abzulegen. *seufz*
[…] erklärt im BH Lounge Blog, warum sie bitte keinen Applaus für’s Abnehmen […]
Danke für den Text!! Super cool, wie Du das Verhältnis zu Deinem Körper beschreibst.
“… als Medium, das einen durch die Welt trägt und dafür sorgt, dass man die Welt erleben kann.”
Das ist eine wunderschöne Definition :) danke! <3
Ich habe vor Jahren mal wegen einer Krise 15 kg abgenommen. Ich fand es furchtbar, dass mir alle gratulierten und mir erzählten, wie schön ich jetzt aussah. Mir ging es dreckig und Leute fanden das toll. Das wiedert mich heute echt an. Danke für den Text. Man sollte das öfter klarstellen.
Veränderungen im Gewicht sind für unsere Gesellschaft leider ein wichtiges Thema.
Bei mir war es immer genau anders herum.
Ich war immer sehr dünn und mein Essverhalten wurde immer argwöhnisch beobachtet.
Mir wurde eine Magersucht unterstellt, wenn ich nach dem Essen auf Toilette ging hatte ich Ess-Brechsucht.
Als ich dann mit 25 zehn Kilo zunahm, wurde das von meinem Umfeld positv bemerkt.
(Dazu muss ich aber sagen, dass ich damals nur Kontakt mit Männern hatte)
In meiner Physikprüfung an der Uni fragte mich mein Prof. wie viele Kalorien der menschliche Körper benötige mit der Einleitung: Jetzt kommt eine Frauenfrage!
Die konnte ich aber nicht beanworten, was mir bis heute keiner glaubt.
Jetzt höre ich aber immer öfter auch von Männern, dass sie Kalorienzählen.
Ich bin der Meinung dass es nicht wichtig ist, wie viel ein Mnesch wiegt und ich glaube das jeder sein persönliches Gewicht hat.
Wenn man nicht zuviel isst und darauf achtet worauf man Appetit hat, stellt sich das perfekte Gewicht von allein ein.
Ganz schlank zu sein, sieht doch krank aus!
“Ich verstehe das alles nicht.” – Was genau verstehst Du denn nicht? Tagtäglich werden wir auf Bildern, in der Werbung etc. mit Körpern konfrontiert, die uns als ideal verkauft werden; dennoch hat kaum jemand einen solchen, vermeintlich idealen Körper. Deshalb machen viele Menschen mehr Sport als gesund ist, essen weniger als sie gern würden u.s.w. Ich finde das traurig, aber absolut nachvollziehbar. Der Mensch möchte nun einmal seinem Mitmenschen in nichts nachstehen; der Mensch möchte auch ideal sein – und wenn es schon für eine zweite Marie Curie oder einen zweiten Albert Einstein nicht reicht, dann muss eben der Knackpo antrainiert werden. Wer so aussieht, wie er es will, der findet sich nicht nur selbst attraktiv und pushed sein Selbstbewusstsein, der wird außerdem auch von seinen Mitmenschen attraktiver gefunden, denn die stehen ja auch (größtenteils zumindest) aufs Idealbild.
Ja, auch ich bin lieber in der Gegenwart eines attraktiven als eines unattraktiven Menschen (wenn sie ansonsten keine Unterschiede aufweisen), auch ich würde lieber Sex mit einem attraktiven als mit einem unattraktiven Partner haben. Das ist schlicht natürlich. Es ist schade und wir Menschen haben unser hochentwickeltes Gehirn, das es uns ermöglicht, Schönheit als nebensächlich oder oberflächlich zu kategorisieren (oder auch aufoktroyierte Schönheitsideale als solche zu entlarven und ihnen nicht länger auf den Leim zu gehen), aber nicht jeder hat nun einmal die gleichen Vorlieben und die gleiche Willensstärke und die gleichen Privilegien und die gleiche Menge Geschlechtshormone und und und…
Soll ich mich selbst unglücklich machen, indem ich eine für mein Empfinden körperlich unattraktive Person mit einer für mein Empfinden körperlich attraktiven Person auf eine Stufe stelle, obwohl mir meine Hormone deutlich sagen, wen ich bevorzuge? Soll ich gegen diese “bestiale” Triebhaftigkeit angehen? Ist das dann der aufgeklärte Mensch oder grenzt das an Selbstbetrug?
Hat es wirklich Sinn, wenn ich in einer Vorlesung die Menschen aufgrund ihrer Statements unterbewusst sortiere und in einem Club aufgrund ihrer körperlichen Reize? Wieso ist eine Sortierung aufgrund von Intelligenz besser als eine Sortierung aufgrund von Penislänge oder Körbchengröße? Ich kann doch nicht erntshaft sagen: “Halt, in diese Person darf ich mich nicht verlieben, weil ich sie ausschließlich körperlich anziehend finde!”
Ich hab mal abgenommen, als es mir schlecht ging und ich nicht essen mochte. Und bizarrerweise wurde mir dazu gratuliert. Also zum Gewichtsverlust, der Rest interessierte dann schon kaum einen mehr. Ganz großartig, Du fühlst Dich sch…. und alle so “Toll siehst Du aus!”