
Heute morgen zum ersten Kaffee habe ich einen Beitrag über eine junge Frau gelesen, die endlich abnehmen möchte, damit ein besseres Leben beginnt. Sie erzählt von der Sorge, dass andere Menschen in der Öffentlichkeit denken, sie würde zu viel essen, weshalb sie bei gemeinsamen Essen oft hungrig mit der Gabel in den Mahlzeiten stochert. Neulich hatte sie ein Oberteil mit kurzen Ärmeln an und fühlte, wie alle sie anstarrten. Meist verhüllt sie sich in schwarzer weiter Kleidung. Im T-Shirt rausgehen – ganz schlechte Idee. Die Frau hat Rückenschmerzen, sie fühlt sich unbeweglich. Es soll alles besser werden, wenn sie doch endlich abnehmen könnte. Dabei versucht sie alles. Bisher hat es nicht funktioniert.
Ich lese den Text und denke “Ich bin diese Frau”. Und zwar vor 20 Jahren. Ich wiege 64 Kilo und kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer mich annehmbar findet. Ich trage Kleidergröße 40, manchmal 38, manchmal 42. Je nachdem. Wenn irgendwo 42 drin steht, schneide ich das Schild raus. Ich ziehe im Sommer maximal eine Caprihose an, denn alles andere, das wäre nun wirklich zu viel. Für meine Mitmenschen. Denen kann ich meinen Anblick nicht zumuten. Ich hasse meinen Körper, vor allem meine Brüste, die mir Rückenschmerzen verursachen. Und ich fühle mich so plump und unsportlich und bin es auch. Zu einem Sportkurs würde ich nie gehen, denn ich habe Angst vor Blicken und Kommentaren. Ich mache mich ganz klein, wenn ich irgendwo vorbeigehe, wo junge Männer lachen, aus Angst vor hämischen Kommentaren. Angst davor, dass sich dieselben Kommentare wiederholen, die ich in der Schule schon für meinen Körper bekommen habe.

Wenn ich daran denke, möchte ich diese Frau, die ich vor 20 Jahren war, einmal richtig fest in den Arm nehmen und sagen “Weine ruhig, so lange es nötig ist. Schrei, so laut du kannst”. Vermutlich wäre das damals nicht möglich gewesen. Genauso wenig, wie eine engere Beziehung zu einer anderen Person aufzubauen, die beinhaltet, dass man auch manchmal nackt ist. Ich probiere das ein paar Mal, aber ich kann nie glauben, dass die andere Person mich wirklich mag. Ich denke: “Wenn jemand mit mir was anfängt, was muss das für eine Person sein?! Ich mach lieber Schluss!”
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich das inzwischen anders sehe. Es war ein langer Weg und frei bin ich von diesen Gedanken nicht. Wir leben in einer Zeit, in der Diätkultur sehr wichtig ist. Das färbt ab auf die Gedanken, auch wenn ich weiß, dass vieles einfach Quatsch ist. Eines weiß ich ganz sicher: Mein Körper kann so viel. Was er alles kann, wie stark und schnell und schön er sein kann, habe ich erst viele Jahre später begriffen. Und da war ich dem aktuellen Ideal nicht näher, sondern weiter davon entfernt. Ich habe gelernt, dass alle Menschen unterschiedlich aussehen. Und dass das Aussehen und das Gewicht nicht darüber bestimmen, wie ich mich in meinem Körper fühle. Ich gehe auf Punkkonzerte, mache Modenschauen im Bikini und ziehe die kurze Hose und das ärmellose Top an, wenn es heiß ist. Ich bin jetzt diese Frau, die in ihrem Körper wohnt. Dieses Zuhausefühlen kann mir niemand nehmen. Es sorgt dafür, dass Platz in meinem Kopf ist für andere Dinge als die nächste Diät oder Essstörungsepisode. Da ist auf einmal Raum für Aktivismus, schöne Hobbys. Und auch gemeinsam Essen mit Freund*innen. Bis ich satt bin.
Liebe Anne-Luise, danke für diesen tollen Beitrag. Du hast es auf den Punkt gebracht.